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Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen e.V. fordert Justizsenatorin Badenberg auf, sich für Ihre Wähler einzusetzen

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen e.V. fordert von Frau Justizsenatorin Badenberg, sich für eine schnelle Einführung des Cannabisgesetzes und des Hauptverhandlungsdokumentationsgesetzes stark zu machen.

Als Justizsenatorin hat sie die Aufgabe, den Bereich der Justiz stellvertretend für die Wähler zu gestalten. Das Amt geht dementsprechend mit der Notwendigkeit des Ausgleichs von Interessen einher. Daher sollte sie sich nicht nur die Argumente aus dem Bereich der Justiz zu Eigen machen, sondern auch für eine Umsetzung von Regelungen eintreten, die den Justizbetroffenen zugute kommen. Daran mag sie vielleicht auch ihren Staatssekretär erinnern, der als solcher eben nicht mehr Oberstaatsanwalt ist.  

Uns als in der Praxis tätige Verteidigerinnen und Verteidiger überrascht, dass gerade bei den Gesetzen, die einen Mehrwert für die von Strafverfahren Betroffenen (sowie im Ergebnis auch für die Justiz selbst) und eine Entkriminalisierung (also im Ergebnis eine Entlastung der Justiz) schaffen sollen, Argumente von „Bürokratie“ und „Mehrbelastung“ angeführt werden, um diese Gesetze aufzuhalten.

Der Rückgriff auf diese Argumente erstaunt dabei nicht nur deswegen, weil sich eine Verwaltung über Bürokratie beklagt. 

Vielmehr gab es in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Verschärfungen in den Bereichen des Straf- und Strafprozessrechts, die mit einem massiven Bürokratieaufwand für die Justiz einhergingen. In diesem Zusammenhang war nur ganz selten von einer Mehrbelastung der Justiz die Rede, jedenfalls wurde diesen Verschärfungen nicht entgegengetreten. Wir dürfen etwa an folgende Maßnahmen erinnern:

  • 2017 wurde in kürzester Zeit die Vermögensabschöpfung komplett verändert. Diese „Reform“ (eigentlich war es eine grundlegende Neukonstruktion) führte sofort zu einer tatsächlichen Mehrbelastung aller Beteiligten am Strafverfahren. Für ihre Umsetzung mussten sogar neue Abteilungen bei den Staatsanwaltschaften aufgebaut werden. Eine Vielzahl der Strafverfahren hat sich dadurch verkompliziert. Dem Gesetz wurde nicht das Argument der Mehrbelastung entgegengehalten.
     
  • Frau Justizsenatorin Badenberg stellte in diesem Zusammenhang noch im Oktober 2023 ihr Modellprojekt „Vermögensabschöpfung bei Ordnungswidrigkeiten“ vor. Auch dieses wird zu einer bereits jetzt absehbaren Mehrbelastung aller am Ordnungswidrigkeitenverfahren Beteiligten und damit natürlich auch der Justiz führen. Diese zu erwartende Mehrbelastung wird dem Modellprojekt der Justizsenatorin aber nicht entgegengehalten oder von ihr selbst erörtert. Hier soll „bekämpft“ werden.   
     
  • Die Verschärfungen im Bereich der Tatbestände des Wohnungseinbruchsdiebstahles (§ 244 Abs. 4 StGB), der Sexualdelikte (§§ 177ff. StGB), des Besitzes kinderpornographischer Bilder (§ 184b Abs. 1 StGB), des Widerstandes und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte (§§ 113, 114 StGB) haben zugleich zu einem Wegfall von Einstellungsmöglichkeiten sowie zum Teil zu einer zunehmenden Zuständigkeit der Kollegialgerichte, insbesondere der Schöffengerichte, bei diesen Vorwürfen geführt: Die Amtsgerichte müssen also in derartigen Fällen nicht nur einen Richter, sondern auch zwei Schöffen organisieren und bereitstellen. Vor der Problematik der Veränderung des § 184b StGB haben Wissenschaft und Praxis in seltener Einigkeit gewarnt. Die Justizverwaltungen bzw. Justizsenatoren und Justizminister haben hier nicht über das Argument der Mehrbelastung versucht, diese Gesetzesänderungen zu blockieren. 
  • Die zunehmende Flut von Daten in Strafverfahren aufgrund kontinuierlich erweiterter Datensammelfähigkeiten und -wünsche im Bereich der Polizei blähen eine Vielzahl von Strafverfahren auf, ohne dass die Justiz hierfür adäquat ausgestattet wäre. Die Mehrbelastung der Justiz hält die Sammelleidenschaft der Polizei nicht auf.  
     
  • Dass ggf. händisch gearbeitet werden muss, ist Standard auch und gerade in der Berliner Justiz. So verfassen Richterinnen und Richter in Verhandlungen händische Notizen an Stelle eines ordentlichen Protokolls. Bestenfalls ist der Computer hier eine modernere Schreibmaschine. Das soll durch das Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz ja gerade geändert werden. Die Geschäftsstellen arbeiten teilweise ebenfalls händisch, weil für sie keine besonders weitgehenden digitalen Möglichkeiten bestehen. 

    In den seltensten Fällen war hier von der Justizverwaltung zu hören, dass die Justiz diesen Aufwand nicht mehr leisten könne. Auch die Polizei ist bislang nicht als Behörde aufgefallen, die sich Regelungen zu Lasten der Rechte der Bürger mit dem Argument der Mehrbelastung verwehrt hätte. 

Erst jetzt, wenn eine Entkriminalisierung (und damit eine jedenfalls künftige Entlastung der Justiz) bzw. eine bessere Transparenz für diejenigen, die von Strafverfahren betroffen sind (Dokumentation der Hauptverhandlung), bevorsteht, werden die Argumente „Bürokratie“ und „Mehrbelastung“ betont. 

Es bleibt daher der zweifelhafte Eindruck vorgeschobener Argumente.

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