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Presseerklärung zur Befangenheit eines Vorsitzenden Richters auch wegen des Verdachts antisemitischer Äußerungen

Offene Stellungnahme und Presseerklärung der

Vereinigung Berliner Strafverteidiger e. V.

 

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger ist über die ausbleibende Reaktion der Berliner Justiz zur Ablösung eines Richters wegen möglicher antisemitischer Vorbehalte besorgt. Äußerungen aus Justizkreisen sind – so sie überhaupt erfolgen – bagatellisierend und verniedlichend. Aus Sicht der Strafverteidigervereinigung besteht hierzu keinerlei Anlass.

Bereits in der vergangenen Woche wurde über den Beschluss des Landgerichts Berlin in BILD und im Tagesspiegel berichtet, mit dem ein Vorsitzender Richter des Landgerichts Berlin unter anderem deshalb für befangen erklärt wurde, weil sein Verhalten besorgen lasse, dass er „sich in seiner Entscheidungsfindung von unsachlichen Vorbehalten gegenüber Juden leiten lässt“.

Dieser Entscheidung lag ausweislich des Beschlusses folgender Sachverhalt zugrunde:

Der befangene Richter hatte in einem Prozess u. a. über die Schuld eines deutschen Ehepaares jüdischen Glaubens zu befinden. Nachdem die Angeklagte wegen eines Karzinoms operiert worden war und wegen starker Schmerzmittel mindestens zeitweise nicht verhandlungsfähig war, ließ er sie – rechtswidrig – ins Bundeswehrkrankenhaus zwangseinweisen, um dergestalt die Diagnose der Verhandlungsunfähigkeit zu hinterfragen. Als ein von den Eheleuten hinzugezogener anerkannter forensischer Sachverständiger dem befangenen Vorsitzenden seine Einschätzung mitteilte, fragte dieser den Sachverständigen, ob auch er Mitglied der jüdischen Gemeinde sei. Bereits zuvor hatte der abgelöste Richter den Ehemann der erkrankten Angeklagten im Rahmen von dessen Haftprüfung bei der Erörterung einer möglichen Fluchtgefahr bereits gefragt, ob er Jude und Mitglied der jüdischen Gemeinde sei.

Ein Richter gilt dann als befangen, wenn berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit  bestehen. Diese Zweifel ergeben sich zwanglos aus dem Beschluss. Verwundern muss daher die Äußerung des Gerichtssprechers des Landgerichts, es sei dem befangenen Richter bei seiner Frage an den Sachverständigen hinsichtlich einer Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde nur um private Beziehungen des Sachverständigen zum Ehepaar gegangen, im Übrigen hätten entsprechende Fragen in der Haftprüfung des Ehemanns, ob er Jude und Gemeindemitglied sei, lediglich mit dem Vorhandensein zweier Pässe zu tun gehabt.

Einzige Stütze dieser Justizäußerung sind die Erklärungsversuche des abgelehnten Richters, die der Gerichtssprecher offenbar zur Kenntnis bekommen hat, welche indes bereits im Ablehnungsverfahren das entscheidende Gericht nicht überzeugten. Dass sich der Gerichtssprecher ausschließlich hierauf bezieht, ist bereits verwunderlich. Nicht mehr nachzuvollziehen ist dies aber, wenn aus weiteren Dokumenten des Ablehnungsverfahrens anwaltlich versichert hervorgeht, dass der befangene Richter dem angeklagten Ehemann für den Fall, dass seine Frau nicht zur Verhandlung erscheine, weiterhin in Aussicht gestellt haben soll, diese wie Demjanjuk zu behandeln – also wie den Mann, der in München wegen Massenmordes an Juden während des Holocausts vor Gericht stand und gegen den ungeachtet seiner möglichen Erkrankung verhandelt wurde. Die Richtigkeit dieses Vortrags wurde anwaltlich versichert. Dem befangenen Richter müsste es bekannt gewesen sein, dass der angeklagte Ehemann weite Teile seiner Familie im Holocaust verloren hat. Es ist unerträglich, wenn diesem Mann gegenüber angekündigt wird, seine Frau müsse damit rechnen nicht besser als ein mutmaßlicher Massenmörder und Nazischerge behandelt werde.

Vor diesem Hintergrund ist es dann ebenso schwer erträglich, wenn der Gerichtssprecher sich in Bewertung des Ablehnungsvorganges nur auf die Erklärungen des befangenen Richters bezieht – und den Vorgang offenbar als normal bewertet. Weitere Klärung soll offenbar nicht angezeigt sein. Dabei sind die nunmehr offenbar auch vom Gerichtssprecher übernommenen antisemitischen Klischees offensichtlich:

Wenn es um die Frage persönlicher Bekanntschaft zwischen Sachverständigem und Angeklagten geht, ist die Frage nach der Gemeindezugehörigkeit gänzlich ungeeignet, eine solche Bekanntschaft zu erhellen – es sei denn, man ginge mit einem klassischen antisemitischen Klischee davon aus, dass innerhalb einer aus 13.000 Menschen bestehenden Gemeinde ohnehin alle Juden „zusammenhalten“, gegebenenfalls auch ohne sich zu kennen. Gleichfalls sinnlos ist die Frage nach Glaubens- und Gemeindezugehörigkeit im Zusammenhang mit zwei Reisepässen. Religionsgemeinschaften bzw. Gemeinden stellen solche nicht aus.

 

Es drängt sich der Verdacht auf, dass seitens der Justiz das Thema möglichst schnell mit verharmlosenden, wenn auch ungeeigneten Erklärungen beerdigt und der Verdacht des Antisemitismus – anders als im Beschluss festgestellt – ohne weitere Konsequenzen oder Aufarbeitung aufgelöst werden soll.  Auch die Staatsanwaltschaft hat bislang zu dieser Frage geschwiegen, auch im Ablehnungsverfahren.

 

Auf Verständnis kann dies nicht treffen.

 

Noch nicht einmal 70 Jahre nach dem Holocaust und Judenverfolgung, in die gerade auch die Berliner Justiz verstrickt war, muss sowohl das Vorgehen des abgelehnten Richters als auch die Rezeption des Beschlusses durch den Gerichtssprecher Unverständnis und Befremden hervorrufen. Vorurteile, dass wer gemeinsam in der Jüdischen Gemeinde sei, im Zweifel gegen die Interessen der Mehrheitsgesellschaft zusammenstehe, stehen in der Tradition klassischer antisemitischer Klischees wie dem der bizarren Theorie der „zionistischen Weltverschwörung“. Dass nun auch der Gerichtssprecher Fragen nach der Gemeindezugehörigkeit als geeignet und offenbar hinreichend sieht, „Private Verbindungen“ zwischen Sachverständigen und Angeklagten zu belegen, ist bedrückend.

 

 

Der Vorstand

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